Sehnsucht nach Neuem

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Der Spiegel

Hugo-Boss-Chef Peter Littmann über die Angst vor dem Versagen

Von Kartte, Sabine und Bölke, Peter

SPIEGEL: Herr Littmann, nach Feierabend beschäftigen Sie sich mit Sören Kierkegaards Gedanken über die Angst. Was fasziniert den Chef einer Bekleidungsfirma an dieser Lektüre?
Littmann: Ich interessiere mich für Philosophie. Allerdings schreibt Kierkegaard über Schuld, Freiheit und Erbsünde, das sind ja nicht ganz meine Themen. Ich komme über Gedanken zur Innovation, zum Durchsetzen von Neuem zum Thema Angst. Wir haben in Deutschland Probleme mit der Wettbewerbsfähigkeit unserer Wirtschaft. Wir beklagen permanent, daß wir nicht innovativ genug sind. Warum, frage ich mich, haben wir zuwenig neue Produkte, zuwenig neue Strategien? Und dann bin ich ziemlich schnell bei der Frage: Könnte es sein, daß wir Angst vor Neuem haben?

SPIEGEL: Vielleicht gibt es nicht genug Ideen?

Littmann: Das glaube ich nicht. Es gibt genug Ideen. Ich muß ja nur, wie hier bei uns etwa, durch den Laden gehen und mit den Leuten reden oder mit ihnen in der Kantine zu Mittag essen. Die _(* Sabine Kartte, Peter Bölke im ) _(Metzinger Boss-Werk. ) sprühen vor Ideen. Auch im Management gibt es Ideen, trotz zum Teil verkrusteter Strukturen. Woran es häufig mangelt, ist der Mut, diese Ideen durchzusetzen.
SPIEGEL: Soll das heißen, die Manager seien zu feige, neue Ideen durchzusetzen?
Littmann: Ich will nicht sagen zu feige. Innovation ist schwer kalkulierbar und dadurch mit Risiko verbunden. Aber ich frage mich: Sind wir im Management bereit, das notwendige Risiko einzugehen, auch ein persönliches Risiko? Ich kann ja etwas Neues nur durchsetzen, wenn ich mich persönlich stark dafür engagiere und Widerstände überwinde. Funktioniert es, dann bin ich erfolgreich. Wenn nicht, bekomme ich ein Problem.
SPIEGEL: Sie versagen.
Littmann: Ja, ich versage. Und dann werde ich, weil ich etwas versucht habe, was nicht funktioniert hat, stigmatisiert: von der Gesellschaft, von den Kollegen, der Branche, den Kontrollgremien. Ganz anders in Amerika - dort bekommen Sie immer wieder eine Chance. Ich fürchte, die bekommen Sie bei uns nicht.
SPIEGEL: Ein deutscher Manager muß viel falsch machen, ehe er gefeuert wird. Und wenn, dann fällt er in der Regel weich. So groß sind doch die Risiken nicht.
Littmann: Es kommt darauf an, welche Art von Fehlern sie machen und in welchem Konsens die Fehler passieren. Wenn es Allianzen der Angst gibt zwischen dem Manager und dem Kontrollgremium, wenn sich also alle einig waren über das, was getan wurde, dann werden Fehler geduldet. Wenn der Manager seine Sache aber gegen Widerstände durchgesetzt hat und es funktioniert nicht, dann wird es für ihn schwierig. Quertreiber werden ausgestoßen.
SPIEGEL: Gibt es immer Widerstände?
Littmann: Es sind immer Widerstände da. Ich rede ja von wirklich Neuem. Wenn ich das mache, was die anderen auch machen, wird das akzeptiert. Dieser Imitationsrausch, der letztendlich zu Uniformität führt, stört die wenigsten. Versuche ich aber, die Spielregeln einer Branche zu verändern, versuche ich in der Firma etwas radikal Neues zu machen, wird es schwierig. In jedem Unternehmen gibt es intelligente und gutmeinende Leute, die einem ganz genau erklären,warum es viel besser ist, die Finger davonzulassen. Sie rechnen einem vor, was das kostet, sie zeigen einem auf, wo die Risiken liegen. Wenn es dann nicht funktioniert, werden viele sagen: Na ja, das haben wir ja von Anfang an gewußt, daß es nicht funktionieren konnte. Da wird sich jeder zweimal überlegen, ob es klug ist, solche Risiken einzugehen. Chancen wahrnehmen? Etwas wagen? Nein, lieber Risiken vermeiden.
SPIEGEL: Wer nichts tut, macht auch keine Fehler.
Littmann: Außer dem Fehler, daß er nichts tut. Wenn Sie als Manager schön vorsichtig entlang der Wand arbeiten und mehr oder weniger anständig Ihren Job machen - jedes Jahr einen kleinen Zuwachs -, dann ist das in Ordnung. Wenn aber der gleiche Manager etwas wagt und das geht daneben, können die Folgen für ihn bitter sein. Deshalb gibt es aus meiner Sicht immer weniger Leute, die wirklich eine echte Innovation versuchen.
SPIEGEL: Der Manager muß doch mehr tun als verwalten, er hat die Unternehmerfunktion übernommen.
Littmann: Ja, ich muß vom Manager erwarten, daß er unternehmerisch tätig ist. Dazu gehört, daß er bereit ist, Risiken einzugehen, auch persönliche. Viele Manager optimieren nur sich selbst, die eigene Karriere, indem sie die Vergangenheit verteidigen. Ich frage mich, ob wir nicht mehr von solchen Leuten gebrauchen können, die geistig unabhängig sind, nicht nur Fachspezialisten, sondern Leute, die ein bißchen Abstand haben, Manager, die sich auch für andere Dinge interessieren.
SPIEGEL: Es gibt offensichtlich nicht viele im deutschen Management, die diese Anforderung erfüllen. Wie schaffen es denn all die anderen angstgetriebenen Unterlasser so weit nach oben?
Littmann: Sie müssen nicht unbedingt innovativ arbeiten, um nach oben zu kommen. Es reicht schon, wenn sie "einen guten Job machen", wie es so schön heißt.
SPIEGEL: Die deutschen Manager genießen ein sehr hohes Ansehen, auch im Ausland. Werden sie überschätzt?
Littmann: Wir haben sehr fähige Leute, die viel und fleißig arbeiten - sehr effizient. Ich glaube aber, daß Innovation etwas anderes ist als Effizienz.
SPIEGEL: Ohne Effizienz geht es nicht.
Littmann: Natürlich ist die permanente Steigerung der Effizienz auch eine der wichtigen Aufgaben des Managers. Wenn das aber alles für ihn ist, dann versteht er seinen Job nicht richtig. Wie kann ich denn die Mannschaft motivieren? Indem ich ihr erzähle, daß wir in diesem Jahr fünf Prozent mehr Profit gemacht haben als im letzten Jahr? Das befriedigt vielleicht das Bedürfnis nach Sicherheit, langweilt aber zu Tode. Ich kann doch nur motivieren, indem ich neue Wege und Möglichkeiten zeige, indem ich eine Vision erläutere und meine Sehnsucht nach Neuem mit meinen Leuten teile.
SPIEGEL: Die Manager geben sehr viel Geld für Unternehmensberater aus, sie veranstalten Kurse, Workshops, Projekte, um die Hierarchien offener für Neues zu machen. Immer noch nicht genug?
Littmann: Die Unternehmensberater, gerade die großen - was machen die denn? Die beraten in Effizienz. Keiner kommt und hilft einem dabei, wirklich innovativ zu sein, das Gestern, die alte Ordnung in Frage zu stellen.
SPIEGEL: Haben die mutigen Querköpfe, die Sie suchen, überhaupt Chancen, in die obersten Etagen zu gelangen?
Littmann: Es zeigt sich ja immer, daß es oben an den Spitzen der Hierarchien, auch in der Politik, Querdenker gibt. Vielleicht müssen sie eine gewisse Camouflage benutzen, bis sie oben sind, um sich dann zu zeigen.
SPIEGEL: Wer sich durch die Hierarchien der Unternehmen nach oben kämpft, muß sich anpassen, er wird zurechtgeschliffen. Verliert so einer nicht seine Visionen, seine Sehnsüchte, seinen Mut?
Littmann: Eigentlich müßte das Gegenteil der Fall sein. Wenn Sie oben sind, haben Sie endlich die Chance, Ihre Sehnsucht oder Ihre Vision zu verwirklichen. Das ist doch die Chance, nach der ich gesucht habe, als ich noch irgendwo auf den unteren Etagen in der Hierarchie war: oben zu sein und die Dinge so zu machen, wie ich sie für richtig halte, um vielleicht doch ein paar Spuren zu hinterlassen. Das ist phantastisch.
SPIEGEL: Aber auch sehr beängstigend. Heute müssen Manager ihre Entscheidungen auf weltumspannenden Märkten treffen, sie sind mit ständig sich verändernden Bedingungen konfrontiert. Verliert der Vorstandsmensch, der in Lippstadt, in Zuffenhausen oder Metzingen auf seinem Bürostuhl sitzt, da nicht den Überblick?
Littmann: Wenn er an seine Omnipotenz glaubt, dann ist er gefährdet. Wenn er aber bereit ist, das Potential seiner Mitarbeiter zu nutzen, zu teilen, zu delegieren, zuzuhören, dann braucht er keine Angst zu haben. Die Leute sind hervorragend, sie wollen etwas tun. Natürlich wissen die Vertriebsleute, die in unserem Büro in Hongkong sitzen, über den asiatischen Markt zehnmal mehr als ich. Damit muß ich nur leben können. Wenn ich das zulasse, dann motiviert das meine Mitarbeiter, und ich muß keine Angst haben.
SPIEGEL: Nicht nur die Manager, auch die Beschäftigten tragen Risiken und haben Angst - wenn Sie zum Beispiel Produktionen ins Ausland verlagern. Von Ihren Entscheidungen hängen die Schicksale vieler Menschen ab. Haben Sie dazu noch eine Beziehung?
Littmann: Erstens bin ich nicht blind, und zweitens habe ich mit meinem Background vielleicht eine etwas höhere Sensibilität dafür. Ich bin ja nicht mit dem goldenen Löffel im Mund geboren. Meine Mitarbeiter wissen, wieviel wir darüber reden und wie schwer wir uns mit jeder Entscheidung in dieser Richtung tun. Wir haben einen Teil der Produktion verlagert. Vor einigen Monaten haben wir ein Werk schließen müssen. 70 Menschen waren betroffen. Das sind 70 Schicksale. Aber wir mußten es machen, um andere Arbeitsplätze langfristig zu sichern.
SPIEGEL: Wegen der Löhne?
Littmann: Natürlich. Wir können aus betriebswirtschaftlichen Gründen gar nicht anders arbeiten. Wir müssen das tun, um wettbewerbsfähig zu bleiben. Gleichzeitig haben wir aber auch Leute eingestellt in den Vertrieb, in das Marketing, in die Produktentwicklung und die Verwaltung.
SPIEGEL: Das hilft der Näherin nicht, wenn irgendwelche Marketingexperten einen Job kriegen.
Littmann: Das Problem der Näherin - das kann ich leider nicht lösen.
SPIEGEL: Als Sie mit 20 Jahren nach Deutschland kamen, da hatten Sie kein Geld, und Sie sprachen kein Deutsch.
Littmann: Nein. Ich verstand auch sonst viele Dinge nicht. Ich bin in einem sozialistischen Land aufgewachsen und kam in ein anderes System. Ich kannte niemanden. Alles war fremd.
SPIEGEL: Sie haben in Ihrem Leben sehr viele riskante Entscheidungen getroffen: Haben Sie keine Angst?
Littmann: Doch, natürlich. Wenn ich keine Angst hätte, wäre ich ein bißchen naiv oder ein bißchen dumm. Die Angst ist ja nicht das Problem, sondern wie ich damit umgehe. Letzten Endes kann ich die Angst sogar als etwas Produktives betrachten, solange sie mich nicht lähmt.
SPIEGEL: Bisher ging bei Ihnen alles gut, auf die Nase gefallen sind Sie ja noch nicht. Aber irgendwann passiert das.
Littmann: Ja.
SPIEGEL: Da nicken Sie einfach?
Littmann: Ich habe es natürlich einkalkuliert. Es ist denkbar.
SPIEGEL: Ist das Ihre Art der Angstbewältigung?
Littmann: Ja. Ich spiele mir die Konsequenzen bis zum Schlimmsten durch: Was passiert mit den Leuten, deinen Mitarbeitern, die dir vertraut haben? Was wird aus der Arbeit, die du angefangen und nicht zu Ende geführt hast? Aber auch: Wie würdest du ab morgen leben, wenn es schiefgeht? Du würdest nicht mehr da und dort eingeladen werden, du könntest nicht mehr first class nach New York fliegen. Ist das ein Problem? Nein, es ist überhaupt kein Problem. Ich genieße den Status, auch das Geld. Aber ich kann auch ohne. Ich käme damit zurecht, wenn ich eines Tages nicht mehr als Manager arbeiten dürfte. Es macht mir großen Spaß, und ich kann mir im Moment nichts Schöneres vorstellen. Aber ich weiß, daß ich auch etwas anderes machen könnte. In dem Sinne fühle ich mich unabhängig.
SPIEGEL: Dann brauchen die Firmen Psychologen für ihre Spitzenmänner, die ihnen den Umgang mit der Angst beibringen.
Littmann: Nein, das glaube ich nicht. Wir brauchen Leute, die unabhängig sind im Kopf. Und wir müssen schauen, daß wir jemandem, der einen Fehler macht, weil er etwas Besonderes versucht hat, die zweite oder dritte Chance geben, statt ihn zu stigmatisieren.
SPIEGEL: Bei Boss sind Sie in ein gesundes Unternehmen eingestiegen. Hätten Sie auch den Job eines Sanierers angenommen, der Leute raussetzen, Betriebsteile verkaufen muß?
Littmann: Für mich persönlich ist das Aufbauen reizvoller als das Verkleinern, Reduzieren, Abschneiden. Das würde ich nicht gern tun.
SPIEGEL: Der Sanierer will ja mittelfristig auch aufbauen. Nur muß er vorher die Schmutzarbeit machen.
Littmann: Also, wenn es notwendig wäre, würde ich es tun. Ja, ich glaube schon, daß ich das könnte. Man darf nicht unterstellen, daß einer gern Leute entläßt. Vielleicht muß er zehn raussetzen, damit die anderen fünf ihre Jobs behalten. Aber ich würde es sehr ungern tun. Wenn mir da einer gegenübersitzt und ich muß mit ihm besprechen, wie wir uns trennen, das tut schon weh.
SPIEGEL: Darf man sie aussprechen unter Managern, die Angst vorm Rausschmeißen?
Littmann: Wieviel darf man denn überhaupt aussprechen unter Managern? Ich habe die Erfahrung gemacht, daß es hilft, wenn man über Probleme, über Schwächen und Ängste spricht. Meine Kollegen im Unternehmen und ich, wir tun das hin und wieder auch. Außerhalb der Unternehmen sind das jedoch Tabuthemen.
SPIEGEL: Sie halten Vorlesungen an der Universität Witten-Herdecke. Sprechen Sie mit Ihren Studenten über Angst?
Littmann: Ja, auch. Ich versuche ihnen zu zeigen, daß es in den Unternehmen nicht so läuft, wie das bei Herrn Gutenberg - um einen Klassiker der Betriebswirtschaftslehre zu nennen - oder bei irgend jemand anderem in einem klugen Buch steht, sondern daß Neid, Mißgunst, Angst eine wichtige Rolle spielen. Den Homo oeconomicus gibt es nicht, auch das Unternehmen ist kein oeconomicus. In der Realität handeln die Menschen oft aus persönlichen Motiven, beeinflußt durch viele Dinge um sie herum. Und die haben mit Rationalität meistens nur wenig zu tun.
SPIEGEL: Herr Littmann, wir danken Ihnen für dieses Gespräch.

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